Orgelspaziergang, Teil 4
Antonio García Begrüssung und Moderation

 

Goll-Orgel (1991)

Katja Sager Orgel
Jean Guillou (*1930)
Pièces furtives op. 58 (1998)
Caloroso
Giocóndo
Languore
Molto cantabile
Tempo di Marcia

Yeon-Jeong Jeong Orgel
Jean Guillou (*1930)
Säya ou «L’oiseau bleu», Poème sur un air populaire coréen op. 50 (1993)

Michael Sattelberger Orgel
Zsigmond Szathmáry (*1939)
Moving Colours (2006)

Angela Metzger Orgel
Bruce Mather (*1939)
Aus: Six Études (1982)
Nr. 3 «Vision fugitive»
Nr. 5 «Textures»

Samuel Cosandey Orgel
Antoine Fachard (*1980)
Coïncidences (2013)

 

Orgeldisposition

 

Jean Guillou gehört zu den berühmtesten, aber auch umstrittensten Organisten unserer Zeit. Der Schüler von Marcel Dupré, Maurice Duruflé und Olivier Messiaen, der seit 1963 an der Kirche Saint-Eustache direkt neben den Pariser Hallen wirkt, ist auch als Pianist und Komponist bekannt geworden. In der Schweiz war er entscheidend bei der Konzeption der Tonhalle-Orgel in Zürich beteiligt. Seine zehn «Pièces furtives», von denen hier eine Auswahl erklingt, sind flüchtig oder wörtlich: verstohlene, heimliche Charakterstücke, die fast im Nu vorbeifliegen. Elaborierter hingegen ist die zweite Komposition:
Auf seinen zahlreichen Konzerttourneen improvisiert Guillou regelmässig über Themen aus dem Publikum, und so erhielt er 1993 in Seoul das koreanische Volkslied «Säya» vorgelegt: eine extrem einfache Melodie aus vier Tönen, die in einem sehr poetischen Text einen blauen Vogel besingt. Guillou dazu: «Diese zauberhafte Nacktheit zog mich an, weswegen ich mich entschloss, es in einer Komposition zu verwenden. Das Poem präsentiert, während es die ursprüngliche Schlichtheit bewahrt, eine dramatische Entwicklung mit Variationen und Kommentaren. Am Schluss kehrt die anfängliche Wärme der Melodie zurück und singt sich noch einmal aus, bevor sie davonfliegt.»

Auch der Ungar Zsigmond Szathmáry, der seit langem in Deutschland lebt, ist sowohl Komponist als auch Organist. Im Gegensatz zu Guillou, der sich keiner Schule zuordnen lässt, bewegt er sich jedoch in den Kreisen der Avantgarde und ist etwa auch durch seine Realisierungen graphischer Partituren bekannt. Seine Komposition «Moving Colours» (2006) war ein Auftragswerk für den Internationalen Orgelwettbewerb 2008 im deutschen Schramberg (D) und wurde für die dortige Walcker-Orgel (1844) in der St. Marien-Kirche konzipiert.

(James) Bruce Mather stammt aus Toronto, studierte dort am Royal Conservatory of Music, kam aber bald schon nach Europa, um sich hier weiterzubilden. In Paris besuchte er die Kurse von Darius Milhaud und Olivier Messiaen, in Darmstadt lernte er auch Pierre Boulez kennen, bei dem er 1969 in Basel Dirigieren studierte. Nach seiner Heimkehr unterrichtete er von 1966 bis 2001 an der McGill University in Montreal und leitete dort auch Contemporary Music Ensemble. Kompositorisch wurde er unter anderem vom Exilrussen Iwan Wyschnegradsky und seiner mikrotonalen Musik beeinflusst. 1982 komponierte der frankophile Kanadier für den belgischen Organisten Bernard Foccroulle sechs Etüden, die sich diversen technischen Problemen widmen. Die «Vision fugitive» ist ein kurzes, bewegtes und darin eben auch sehr flüchtige Stück; in den «Textures» werden mehrere rhythmische Schichten übereinandergelegt und ins Changieren gebracht.

Antoine Fachard, aus Lausanne stammend, studierte in Bern Komposition und Theorie bei Daniel Glaus. Das Orgelstück «Coïncidences» schrieb er für seinen Studienkollegen Samuel Cosandey. Das Stück besteht aus zwei aufeinander folgenden gegenläufigen Prozessen, von denen der eine der Spiegel des anderen ist – ähnlich wie ein grosses Ein- und Ausatmen. Getrennt werden sie durch eine vertikale Symmetrieachse, das mittlere F in der 333. Sekunde. Die Klanggesten des ersten Teils nähern sich von den Extremen ausgehend immer mehr diesem Zentrum – und entfernen sich wieder, freilich in einer Beschleunigung. Die Musik ist also keineswegs strikt rückläufig komponiert. Die Form entspricht aber insgesamt der rhetorischen Figur des Chiasmus, der x-förmigen Kreuzung zweier Bewegungen. Sie taucht in der Musikästhetik von Antoine Fachard immer wieder auf, denn er sucht immer wieder diesen Effekt: Man entfernt sich allmählich von einem Ausgangspunkt und kehrt doch fatalerweise wieder dorthin zurück – «so wie Sisyphus, der wie lange er auch immer dafür gebraucht hat, anderntags doch immer wieder aufs Neue beginnen muss…». Nach diesen beiden prozesshaften Teilen folgt ein kürzerer, instabiler Abschnitt, in dem Elemente von zuvor wiederaufgegriffen, und schliesslich eine fliessende Coda, die endlich in der Höhe entschwindet.


keine Anmeldung nötig

Französische Kirche Bern | |  
Mittwoch, 21. Oktober 2015 | 16.30 Uhr


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