Vesper
Das geistliche Jahr

 

Ensemble Vertigo der Hochschule der Künste Bern
Lennart Dohms Leitung
Pfrn. Barbara Rieder Howald Liturgie

 

Jörg Herchet (*1943)
Aus: Das geistliche Jahr (seit 1973)
Kantate zum 3. Sonntag nach Epiphanias
Komposition für Violine, Violoncello, Klavier, Publikum (2010)

 

«Unbeirrbar wird der einmal gewählte geistliche Weg gegangen, und doch zittern durch diese im Prinzip schlichte Grossform alle Ängste und Leiden unserer Tage; manchmal glaubt man die ‹Unwirtlichkeit unserer Städte› (Mitscherlich) zu spüren, eingeholt von einer bedrohlich-bedrohten Natur. Seismographisch eingefangen, schlägt die ins Werk eingegangene Erfahrung um: sie hilft, eine Wahrheit zu artikulieren, die gebunden ist im Schauen von Gott; Erlösung als ein Hindurchgegangensein.» So schrieb der Organist und Musikwissenschaftler Michael-Christfried Winkler über die «Komposition für Posaune, Bariton und Orchester», die 1980 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wurde. Damit sind Merkmale von Jörg Herchets Musik genannt: Unbeirrbarkeit, menschliche Erfahrung in unserer Zeit; Wahrheits- und Gottessuche.
Es ist nicht so lang her und war nicht so fern, dass Christliches dissident war – in den Staaten des Ostblocks. Und bezeichnend ist ja, dass in der DDR kirchliche Kreise entscheidend zur Wende beitrugen. Eine besondere Position in der ostdeutschen Musikszene nahm damals schon der Komponist Jörg Herchet ein. Viele seiner Stück konnten in Ostdeutschland nicht aufgeführt werden. Der Meisterschüler von Paul Dessau stand mit seiner Musik aber nicht nur ausserhalb des sozialistischen Realismus, sondern auch ausserhalb dessen, was im Westen von der Avantgarde gefordert wurde. Auch da blieb er unbeirrbar, schuf an einem grossen Werk, das weiter wächst und dem grossen Konzertbetrieb fern steht.
In einem Interview sagte er einmal: «Also ich wünschte, dass in aller meiner Arbeit das ‹soli Deo gloria› empfunden wird. Ich unterscheide nicht zwischen geistlichen und weltlichen Werken. Ich würde die Aufgabe des Künstlers, also meine persönliche Aufgabe darin sehen, dass man das Sinnliche durchsichtig macht für das Ewige. Wenn ich ‹religiös› sage, dann denken wahrscheinlich viele Menschen: Aha, das ist also das, was man heute unter fromm versteht. Sie wären entsetzt, wenn sie merken, was ich darunter verstehe. Sie sind`s ja auch oft, wenn sie Musik hören. Für mich ist ‹religio› vor allem Ehrfurcht. Da ich aber mein ganzes Leben nur begreifen kann als einen Weg zu Gott hin – wo ich da stehe, und sicher stehe ich noch sehr fern, das wäre eine andere Frage. Aber vielleicht ist auch das Wichtigste dieses Bemühen, zu Gott zu gehen und ihm näher zu kommen. Ein Bemühen, das von uns aus, von mir aus ohnedies keinen Erfolg hat, das nur dann verwirklicht wird, wenn Gott uns entgegenkommt. Ich würde meine Musik als eine Sehnsucht nach Gott empfinden. Die grössten Werke entstehen, wo in der strengsten Ordnung sich fruchtbarste und erhabenste Freiheit auftut. Bach unterwarf sich der Ordnung des Kontrapunkts sowohl als der Harmonik und gehorchte ihrem doppelt strengen Gesetz: und schuf das freieste Werk. Nach Bach ist es erst wieder Arnold Schönberg, der die Probleme des Kompositionsunterrichts für sich und seine Schüler löst.»
Seit 1973 arbeitet Jörg Herchet an einem grossen ökumenischen Kantatenzyklus mit dem Titel «Das geistliche Jahr». Die Sonn- und Festtage des Kirchenjahrs werden dabei aus unterschiedlichsten Deutungsperspektiven betrachtet. Die Texte, die Jörg Milbradt verfasst, spielen, so der Komponist, auf das jeweilige Evangelium an. «Die Musik der in Form und Besetzung äusserst verschiedenen Kantaten bezieht alle Tonstrukturen auf einen Allintervallakkord.» In diesen Stücken tauchen aber manchmal höchst ungewöhnliche Elemente wie Sirenen, Technomusik oder aktuelle Anspielungen auf. Auch wenn es um die Wahl der Ausdrucksmittel geht, bleibt Jörg Herchet unbeirrbar.


Eintritt frei

Heiliggeistkirche | |  
Donnerstag, 22. Oktober 2015 | 17.30 Uhr


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