Laudes
Der Kunst (der Fuge) ausgesetzt

 

Ursula Heim Cembalo
Andreas Marti Cembalo

 

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Aus: Die Kunst der Fuge (um 1748)

Contrapunctus 1
Einfache Fuge über das Thema in seiner Grundgestalt (vierstimmig)

Contrapunctus 3
Einfache Fuge über die Umkehrung des Themas (vierstimmig)

Contrapunctus 6 a 4 in Stylo Francese
Gegenfuge über das variierte Thema und seine Umkehrung in zwei verschiedenen Wertgrössen (vierstimmig)

Contrapunctus 7 a 4 per Augment et Diminut
Gegenfuge über das variierte Thema und seine Umkehrung in drei verschiedenen Wertgrössen (vierstimmig)

Contrapunctus 9 a 4 alla Duodecima
Doppelfuge über ein neues Thema und das Hauptthema (vierstimmig)

Contrapunctus 11 a 4
Tripelfuge über zwei neue Themen und das variierte Hauptthema (vierstimmig)

 

Johann Sebastian Bachs «Kunst der Fuge» ist, so könnte man meinen, doch eigentlich bloss ein Kompendium der Fugentechnik, die allerdings auf unübertroffen originelle und meisterhafte Weise in vierzehn Contrapunctus und vier Kanons durchexerziert wird. Höchstes Handwerk, eine klingende Mathematik, wie man zuweilen sagte; vielleicht das, was die Musik gemäss Leibniz ist: «die versteckte arithmetische Tätigkeit der Seele, die sich nicht dessen bewusst ist, dass sie rechnet.» Freilich ist der Zyklus weitaus mehr als bloss ein Stück abstrakter Musik, es ist auch ein geistliches oder spirituelles Werk und deshalb geradezu mystifiziert worden. Das mag zunächst mit Biographischem zusammenhängen, damit, dass sich Bach selbst darin mit seinem Namen verewigt hat und dass es vierzehn Contrapunctus-Sätze an der Zahl sind. Vierzehn ist die Summe, die sich bei BACH ergibt, wenn man den Buchstaben im Alphabet Zahlen zuordnet: B=2, A=1, C=3, H=8; macht zusammen 14. Überhaupt geistert Zahlensymbolik durch die Stücke, die andeutet, dass der Komponist hier auch von sich sprach. Dass er an dem Zyklus, der ihn bereits über Jahrzehnte beschäftigte, bis zuletzt arbeitete und ihn schliesslich unvollendet liegenliess, hat die Legendenbildung noch verstärkt. Der Contrapunctus XIV blieb um seiner sieben letzten fehlenden Takte willen Fragment. «NB. Über dieser Fuge, wo der Nahme BACH im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfasser gestorben», notierte Sohn Carl Philipp Emanuel an den Schluss der Handschrift. Das letzte Werk war es wohl dennoch nicht, denn Bach arbeitete in den Tagen vor seinem Tod am Orgelchoral «Vor deinen Thron tret ich hiermit» – den der Sohn schliesslich als Schlussstück des Zyklus empfahl, weil man damals noch kein unfertiges Werk veröffentlichen konnte. Wahrscheinlich also, dass darin auch viele Todesgedanken stecken – zumal die Tonart d-moll nach Johann Mattheson ja auch «etwas devotes, ruhiges, dabey auch etwas grosses, angenehmes und zufriedenes» enthält. Gleichzeitig aber war es auch ein musikhistorisches Statement für die kontrapunktische Kunst, die in jenen Zeiten bei den Empfindsamen und Galanten in Verruf geraten war. Bach gehörte zum alten Eisen – und er wehrte sich dagegen mit allem Können und aller Phantasie. Das Fugenthema wird so nicht nur nach allen Regeln der Kunst behandelt, sondern auch idiomatisch variiert, wie etwa beim sechsten Contrapunctus im französischen Stil.
Als «tiefste Musik» bezeichnete Alban Berg das Werk 1928 in einem Brief aus Zürich. Das sei hier nachempfunden, wo wir, um das Motto des Kongresses aufzugreifen, ganz unmittelbar «der Kunst (der Fuge) ausgesetzt» werden. In diesen Laudes soll die Musik ohne das Wort auskommen. Sie ist selber Lobgesang genug – «S.D.G», «Soli Deo Gloria», wie eines der fünf «Solas» (Motti) der Reformation lautet, das die Komponisten jener Zeit häufig hinter den Schlussstrich ihrer Stücke setzten. Ursula Heim und Andreas Marti schreiben dazu: «Musik und Religion haben es beide mit der Transzendenz zu tun, nämlich mit dem Überschreiten des Vordergründigen, Eindeutigen, einfach Sagbaren. Bachs «Kunst der Fuge» überschreitet die Grenzen des sprachlich Ausdrückbaren und Deutbaren so radikal, dass sie von Sprache nicht mehr eingeholt werden kann. Konsequenterweise erklingt sie ohne deutende oder korrelierende Worte, ein Sinnbild der äussersten Grenzen, über die nur ein andeutendes Hinausweisen noch möglich ist.»


Eintritt frei

Pauluskirche | |  
Freitag, 23. Oktober 2015 | 08.00 Uhr


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