Konzert Regensburger Domspatzen
Regensburger Domspatzen
Domkapellmeister Roland Büchner Leitung
Duo Voices & Tides Zwischenmusik
Franziska Baumann Stimme
Matthias Ziegler Flöte

 

Józef Swider (1930–2014)
Laudate pueri Dominum (vier- bis sechsstimmig)

Mikolaj Zieleński (1560-1620)
O gloriosa Domina (füfstimmig)

Grzegorz Gerwazy Gorczycki (um 1664/67-1734)
Omni die dic Maria (vierstimmig)

Grzegorz Gerwazy Gorczycki
Ave Maria (vierstimmig)

Zwischenmusik

Romuald Twardowski (*1930)
Missa Regina coeli (vier- bis achtstimmig)
Kyrie
Sanctus
Benedictus
Agnus Dei

Józef Swider (1930–2014)
Magnificat (deutsch, vierstimmig)

Zwischenmusik

Henryk Mikołaj Górecki (1933–2010)
Aus: Piesni Maryjne – Marienmotetten op. 54 (1985) (vier- bis neunstimmig)
Matko Najswietsza! (Allerheiligste Mutter!)
Zdrowas badz Maryja (Heil Dir, Maria)
Ach, jak smutne rozstanie (Oh, wie traurig fällt der Abschied)
Ciebie na wieki wychwalac bedziemy (Wir preisen Dich immerdar)

Andrzej Koszweski (1922–2015)
Ave regina praeclara (vierstimmig)

Milosz Bembinow (*1978)
Regina coeli laetare (sechsstimmig)

Józef Swider (1930–2014)
Cantus gloriosus (vier- bis achtstimmig)

Änderungen vorbehalten

 

Polnische Chormusik
Er habe damals die polnische katholische Kirche und ihren Primas, den charismatischen Kardinal Stefan Wyszyński, unterstützen wollen, sagte Krzysztof Penderecki einmal. Seine «Lukas-Passion», geschrieben für das Millennium des Christentums in Polen, sorgte 1965 für eine Sensation. Sie gab der Kirchenmusik einen starken Impuls und verhalf dem polnischen Katholizismus zu einem neuen Selbstbewusstsein. «Als ich angefangen habe, geistliche Musik zu schreiben, war es überhaupt nicht möglich, die Musik von lebenden Komponisten in der Kirche spielen. Jetzt spielt man sie.» Später widmete er seinem früheren Krakauer Weggefährten Karol Wojtyla nach dessen Wahl zum Papst ein «Te Deum».
Pendereckis Musik erklingt in diesem Konzert nicht, sie bildet aber einen Hintergrund, vor dem die Werke dieses Abends zu verstehen sind, auch wenn sie – abgesehen von Górecki – im Westen kaum bekannt sind. Es gibt eine reiche Chortradition im Osten; die geistliche Chormusik war in Polen aber nicht nur musikalisch wichtig, sondern besass immer auch Aktualität: Sie betonte die Tradition, insbesondere eine tonale Harmonik, die auch für Laienchöre zu bewältigen ist, reicherte sie aber mit eingängigen, süsslich-schmerzhaften Dissonanzen an. Vielleicht ist hinter diesem Stil auch die Muttergottes im Wallfahrtsort zu entdecken: die Schwarze Madonna von Tschenstochau (Schlesien), die geistige Schutzherrin des Landes.
Jedenfalls ist es kein Zufall, dass marianische Texte im Zentrum dieses Programms stehen: von einem alten zweistimmigen Gesang bis hin zu den «Marienmotetten» Henryk Mikołaj Góreckis oder zur jüngsten Komposition von Milosz Bembinow. Ein Marientext steht ja auch im Zentrum von Góreckis berühmtestem Werk, der 3. Sinfonie «Sinfonie der Klagelieder», die auf einem Marienlied aus dem 15. Jahrhundert basiert. Das Stück wurde weltberühmt, als es vor einigen Jahren in den englischen Pop-Charts auftauchte. Es steht unabhängig davon für die Abkehr vieler polnischer Komponisten von der Avantgarde hin zu neotonalen Klängen. Górecki vollzog diesen Wandel fast gleichzeitig wie Penderecki während der 1970er-Jahre.
Górecki schrieb noch zahlreiche weitere marianische Kompositionen. Die mütterliche Liebe erscheint fast als Grundkonstante in seinem Oeuvre. Sein Heim war mit volkstümlicher Malerei und Bildhauerei auf religiöse Themen angefüllt, und vor allem fanden sich dort auch Reproduktionen der Schwarzen Madonna. Daher erstaunt es wenig, dass sich auch in seinen Chorstücken - wie in diesen «Marienmotetten» - Anklänge an Volkslieder finden. Seine Musik steht damit exemplarisch auch für die anderen Komponisten dieses Konzertprogramms.
Bei ihnen allen kommt eine gewisse Volkstümlichkeit der Melodik zum Tragen, die sich bewusst an Laienchöre richtet. Aus der Generation Góreckis und Pendereckis stammen drei weitere, etwas ältere Komponisten. Andrzej Koszweski (1922–2015), Józef Swider (1930–2014) und Romuald Twardowski (*1930): Der aus Posen stammende Andrzej Koszewski, Komponist, Musikwissenschaftler und Musikpädagoge in einer Person, gilt als Polens bedeutendster Chorkomponist des 20. Jahrhunderts. Wie Penderecki und Górecki komponierte auch er ein ausladendes Chorstück für Papst Johannes Paul II. Zu seinen Schülerinnen gehören etwa Lidia Zielińska und die heute in der Schweiz lebende Bettina Skrzypczak.
Józef Swider war in Kattowitz tätig und unterrichtete an der dortigen Musikakademie Theorie und Komposition. Daneben war er im polnischen Chorverband aktiv und verfasste u. a. über zweihundert Chorlieder, die teilweise wie etwa der «Cantus gloriosus» grosse Verbreitung fanden. Ein charakteristisches Merkmal von Swiders Kompositionen, so schrieb der Carus-Verlag nach seinem Tod, «war der virtuose, fast instrumentale Zuschnitt für Chorensemble, gekennzeichnet durch eine reiche Faktur. In der Musik von Józef Swider begegnet man den verschiedensten Ausdrucksformen: intimem Lyrismus, inbrünstigem Bekenntnis, andächtigem Gebet und Choral, aber auch hymnischer Erhabenheit und dramatischer Dynamik bis hin zu Humor und musikalischem Witz. Swider gilt als ein Komponist, der die Chorsprache meisterhaft beherrschte. Seiner musikalischen Sprache liegt eine romantisierende Ästhetik zugrunde, voll von Emotionen, mit spürbarem Ausdruck, manchmal auch verhalten leise».
Romuald Twardowski wuchs im litauischen Vilnius auf und kam 1957 nach Warschau, um dort weiter zu studieren. 1963 und 1966 weilte er für ein Studienjahr bei Nadia Boulanger in Paris. Von 1971 an unterrichtete er selber in Warschau. Neben drei Opern, diversen Balletten und Sinfonien hat auch er Chormusik komponiert – und sich dabei ähnlich wie Swider als grosser Pädagoge erwiesen. Der jüngsten Komponistengeneration Polens gehört schliesslich Milosz Bembinow an: Er ist auch als Dirigent unterwegs und sorgte dabei schon als Sechzehnjähriger für Aufsehen. Als typischer Vertreter der Postmoderne bewegt er sich virtuos auf vielerlei Ebenen, komponiert Unterhaltungs- und Filmmusik, aber auch grosse sinfonische Werke – und zum Beispiel dieses hübsche kurze Chorstück, ein «Regina coeli laetare».

Duo Voices & Tides
Vom Innen und Aussen der Klangräume müsste man beim Duo Voices & Tides mit Stimme und Flöte sprechen, geht es doch der Berner Vokalistin Franziska Baumann und dem Zürcher Flötisten Matthias Ziegler besonders auch um die Architekturen, in denen sie auftreten. Ziegler etwa begann an der ETH Architektur zu studieren, bevor es ihn zur Musik trieb, das Interesse an Klangräumen freilich blieb ihm. In seinem Projekt «Palladio» spürte er jahrelang räumlichen Wirkungen nach. Wie verändert sich das Hören vor Ort – und wie das Raumerlebnis durch die Musik? So hat er im weitverzweigten Röhrensystem der Staumauer Grande Dixence Musik gemacht, in der Felsentherme Peter Zumthors in Vals oder in der wunderbaren Palladio-Villa Erno. Ähnliche Projekte ging auch Franziska Baumann an, die sich sogar in die Klangräume der Gletscher vorwagte.
Landschaftskompositionen bilden somit einen wesentlichen Teil der Duoarbeit. So liessen sie zusammen kleine Lautsprecherboxen auf dem verwunschenen Waldsee Prau Pulté bei Flims schwimmen, aus denen Klänge vom Norden Schottlands drangen. Sie schicken also ihre Klänge in die Weite.
Diese Klänge aber stammen aus einem inneren Raum, aus der Mundhöhle bzw. dem Flötenrohr. Und in diesen Höhlenräumen klingt noch so viel anderes, das gemeinhin für das Ohr aus einiger Entfernung kaum zu vernehmen ist. Dies hörbar zu machen ist ein wesentlicher Teil ihrer Forschungsarbeit. Ziegler lotete das Innere etwa der Kontrabassflöte mit einem speziellen Kontaktmikrophon aus. Ein Schlüsselerlebnis war, wie er im Gespräch mit Michelle Ziegler erzählte, das Konzert eines Didgeridoo-Spielers, der anhand von Mikrophonen Klänge aus dem Innern seines Instruments hörbar machte: «Gleich nach dem Konzert ging ich nach Hause, schloss Mikrophone an meine Stereoanlage an und begann, mit meiner Bassflöte zu experimentieren. Das wirkte wie ein kreativer Motor. In einem Sommer entwickelte ich eine ganze Klangpalette, die ich dann genau dokumentierte und katalogisierte.» Archaisches wurde und wird in diesem Laboratorium vernehmbar: Material, Atmen, Rauschen, das Innerste des Klangs.
Baumann wiederum wirft ihre Stimme, all ihre feinen mikrotonalen, timbralen, sprachnahen und perkussiven Vokaltechniken, über Lautsprecher hinaus in den Raum, bearbeitet oder bespielt sie gleichzeitig jedoch in «Real time», indem sie den Sound über einen interaktiven Sensorhandschuh steuert und verändert. Dadurch wird ein Drittes zwischen diesem Innen und Aussen spürbar: die musikalische Präsenz, die Spielfreude, die Improvisation. Es geht den beiden nicht nur ums Klängeertüfteln, es geht ums Lebendige. Nennen wir es Neue Musik oder Jazz oder wie auch immer: es ist eine ungemein abwechslungsreiche und spannende Form der Interaktion, die alle Klangräume umfasst.



Berner Münster | |  
Samstag, 24. Oktober 2015 | 20.00 Uhr


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