Ökumenischer Schlussgottesdienst
Kai Wessel Countertenor
Solovoices mit Svea Schildknecht Sopran Francisca Näf Mezzosopran
Jean-Jacques Knutti Tenor Jean-Christophe Groffe Bass
Raphael Camenisch und Christian Roellinger Saxophone
Berner Münster Kinder- und Jugendchor
Ensemble der Berner und Zürcher Kantorei
Johannes Günther Musikalische Leitung
Daniel Glaus Orgel
Liturgie
Pfr. Gottfried W. Locher
Pfrn. Anne-Marie Kaufmann
Pfr. Beat Allemand
Pfrn. Esther Schläpfer
Pfr. Christian Schaller

 

Lukas Langlotz (*1971)
Gebet (2014–15)

Kantate für Countertenor-Solo, Vokalquartett, Kinderchor, gemischten Chor, Saxophone und grosse Orgel
Uraufführung

liturgische Eröffnung

I «Vater unser im Himmel»

Gnadenzuspruch

II «Geheiligt werde dein Name. / Dein Reich komme.»

Predigt zum «Vaterunser»

III «Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. / Unser tägliches Brot gib uns heute.»

Fürbitten

IV «Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.»

Friedensgruss

V «Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.»

Vaterunser

VI Doxologie: «Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.»

Sendung und Segen

Nach dem Gottesdienst lädt der Kirchgemeinderat ein zum Apéro in der Matterkapelle.

Dr. David Plüss Abschliessende Gedanken zum 5. Internationalen Kongress für Kirchenmusik Bern 2015

 

Im Zentrum dieses ökumenischen Gottesdienstes, an dem die drei Landeskirchen beteiligt sind, steht die neue Komposition des Basler Komponisten Lukas Langlotz: «Gebet». Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Basler Komponist mit geistlichen Inhalten und Liturgien beschäftigt. Aufhorchen liess zum Beispiel schon seine «Missa nova» von 2009–10 für zwölfstimmiges Vokalensemble und sieben Instrumente. Es handelt sich um ein aussergewöhnliches Stück, nicht nur, weil es den katholischen Ordinariumstext vollständig vertont, nicht nur, weil Langlotz seine persönlichen Kommentare und Zweifel in Form eines Introitus, zweier Meditationen und längerer textloser Teile einfügte, sondern weil ihm hier tatsächlich eine Konzentration aufs Essentielle und eine Irritation gelang. Geistliche Musik, dicht, spannungsreich, innerlich fast aufsprengend, Musik, die Fragen an diesen so festgefügten Text stellt: «Ich habe dieses Gebet [das Credo] nicht in einer dogmatischen Haltung vertont, sondern setze mich musikalisch damit auseinander, schaffe auch eine gewisse Distanz», sagte der Komponist in einem Gespräch.
Dahinter steckte der lang schon verfolgte Wunsch, mit der Musik über das bloss Klingende hinauszugehen. «Spätestens als ich 1998 [bei den Internationalen Ferienkursen] in Darmstadt war, habe ich begriffen, dass es nicht wichtig ist, ‹neue› Musik zu schreiben, sondern eine Musik, die etwas Essentielles mit mir macht und die irritiert, seltsam berührt.» Hinzu kam eine wichtige Erfahrung in Afrika: «Meine Beschäftigung mit biblischen Texten war früher stark von der Institution Kirche geprägt. Irgendwann bin ich ausgebrochen und wollte lange nichts mehr davon wissen. Bis ich in Kamerun ‹Kirche› in einem ganz anderen Umfeld erfahren habe. Die Kirche ist dort gesellschaftlich überhaupt nicht etabliert oder akzeptiert, sondern besitzt eine fast anarchistische Kraft, die sich gegen das Regime formiert. Dort habe ich einen Pfarrer kennen gelernt, der ‹Kohelet› wie einen Revolutionstext vorgetragen hat.» Bald schon folgte eine erste Reaktion: Windspiel (1998–2000), im Untertitel: «Kohelet-Betrachtungen» für Sopran, Ensemble und 4 CD-Player. Weitere Werke umkreisen die Themen seither, wobei er betont, dass ein Stück wie die «Missa nova» keine Kirchenmusik sei. «Die Inhalte, die in den Texten formuliert werden, sind zwar christlich geprägt, doch auf einer tieferen Ebene berühren sie Fragen, die überkulturell sind und Menschen in ihrer Sehnsucht nach dem Kontakt mit einem ganz Anderen überall beschäftigen. Dieser Aspekt vor allem hat mich angezogen. Dazu kam der Wunsch, mich mit einem Erbe auseinanderzusetzen, dem ich in vielfachen Zusammenhängen immer wieder begegnet bin.» Religion ist für ihn etwas Offenes. «Ich möchte Religion für mich nicht so verstanden haben, dass sie Menschen nur daran hindert, sich frei zu entfalten. Auf etwas Grösseres, etwas Unbedingtes will ich mich beziehen, und dann hat mich interessiert, was die Menschen damals im 4. Jahrhundert dachten, als die von mir verwendeten Texte im Nizänum entstanden sind? Wie sind sie damals zu den Begriffen überhaupt gekommen und wie haben sie sie interpretiert?» Es geht wohl auch darum, die christlichen Begriffe und Werte aus einer jahrhundertelangen Umklammerung durch die Kirche zu befreien.
In seinem neuen Werk nun, komponiert im Auftrag des Kongresses und mit Unterstützung der Vinzenzenstiftung, widmet er sich dem wichtigsten christlichen Gebet. Lukas Langlotz schreibt zu seiner Kantate für Countertenor-Solo, Vokalquartett, Kinderchor, gemischten Chor, zwei Saxophone und grosse Orgel: «Im Zentrum der sechsteiligen Kantate steht das ‹Vaterunser› als das alle christlichen Konfessionen verbindende Gebet. Den Sätzen des ‹Vaterunser› gegenübergestellt werden weitere Texte aus der Bibel (aus den Psalmen, Hiob, den Klageliedern, dem Hohelied), dem apokryphen Thomasevangelium sowie von Meister Eckhart und Friedrich Nietzsche. Den Mitwirkenden fallen bestimmte Rollen zu. So verkörpert der Solist (Countertenor) einen Prediger (im Sinne von ‹Kohelet›), der in dieser Funktion gleichzeitig ein Suchender, ein Zweifelnder und ein Mystiker ist. Die Chöre stehen für Menschen, die leiden, sich freuen, trauern, Angst haben, hoffen. Dabei stellt der Kinderchor wiederholt offene Fragen und Schlüsselbegriffe wie Vater/Mutter, Ich/Du, Gott, Name in verschiedensten Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Kurdisch, Arabisch, Japanisch, Hebräisch u. a.) in den Raum. Das Vokalquartett bildet eine Art betende Gemeinde und singt den ganzen Text des ‹Vaterunser› nach Matthäus 6, 9–13 auf Deutsch und Latein. Gegen Ende lösen sich einige Sänger aus der festen Chorgruppe und suchen Wege durch den Kirchenraum.

Die Situationen der sechs Kantaten-Teile sei hier kurz umrissen:
I «Vater unser im Himmel»
Der einsame und zurückgewiesene Mensch im leeren Raum (Hiob: «Ich schreie zu
dir, und du antwortest mir nicht». Nietzsche: «Irren wir nicht durch ein unendliches
Nichts?»). Da hinein die Anrufung an Gott als einen Vater.

II «Geheiligt werde dein Name./Dein Reich komme.»
Das Göttliche (das «Numinose») als «mysterium tremendum et fascinans».
Die Sehnsucht nach einer Vereinigung mit dem Göttlichen ausgedrückt in der
Erwartung eines ewigen Gottesreiches («maranatha»).

III «Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden./Unser tägliches Brot gib uns heute.»
Chaos der Emotionen, Menschen in Extremzuständen. Verzweiflung, Hilflosigkeit.
Da hinein gestellt die Bitte nach dem täglichen Brot. In diesen dritten Teil sind die
liturgischen Fürbitten integriert.

IV «Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.»
Repetitives Gebet (in der Art einer Litanei).

V «Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.»
Menschen auf der Suche, ihre eigenen Wege gehend (Thomas-Evangelium: «Wer
das All erkennt, sich selbst aber verfehlt, der verfehlt das All.»). Innerhalb des fünften
Teils betet die Gemeinde gemeinsam mit allen Sängerinnen das «Vaterunser».

VI Doxologie: «Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.»
Eine Vorstellung von Liebe und Einheit (Meister Eckehart: «Und in diesem Einen
sollen wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts.»). Am Ende bleiben die individuellen
Fragen, die Wege weisen ins Offene, einige Sänger verlassen den Kirchenraum,
in dem sie vorher suchend umhergegangen sind.

 

Die Komposition «Gebet» wird von der Vinzenzen-Stiftung Berner Münster finanziert.


Eintritt frei

Berner Münster | |  
Sonntag, 25. Oktober 2015 | 10.00 Uhr


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